[4. Workshop] Der Spur auf den Spuren

Organisiert von Sandie Attia (attachée temporaire d’enseignement et de recherche, Université du Maine), Nathalie Le Bouëdec (maîtresse de conférences, Université de Bourgogne), Ingrid Streble (attachée temporaire d’enseignement et de recherche, Université de Limoges), Alice Volkwein (Université Sorbonne Nouvelle – Paris 3)

Das Programm des Workshops finden Sie hier. Die Veranstaltung fand im Maison Heinrich Heine statt, dank der Unterstützung der Deutsch-französischen Hochschule, des DFJW, des CIERA, der Université Sorbonne Nouvelle – Paris 3, Université Paris-Sorbonne (Paris IV) und Université Paris 8 – Vincennes-Saint-Denis.

In der Umgangssprache ebenso wie im künstlerischen Bereich und unterschiedlichen wissenschaftlichen Kontexten wird häufig und mitunter unreflektiert das Wort Spur gebraucht, das sich in seiner scheinbaren Einfachheit jedoch als von „unerwarteter Komplexität“ (Berthet) erweist.

Was ist eine Spur? Wie lässt der Begriff der Spursich gegenüber den Konzepten Abdruck, Zeichen, Symptom, Indizoder Index abgrenzen? Wodurch ist die Spur gekennzeichnet, wie funktioniert sie, in welcher Weise wird sie verwendet? Das Thema Spur bzw. Spuren wird im Mittelpunkt des vierten interdisziplinären Forschungsateliers für Nachwuchswissenschaftler*Innen stehen, das die Internationale Forschungsgemeinschaft Deutschland-Frankreich (GIRAF-IFFD) im Herbst 2009 in Paris veranstaltet.

Die per definitionem unwillkürlich hinterlassene Spur weist zunächst in die Vergangenheit, sie stellt sich als „fortbestehende Präsenz eines Restes“ dar (Derrida). Als Figur der Abwesenheit dient die Spur allerdings nicht der Reproduktion der Vergangenheit, sondern ermöglicht lediglich deren Rekonstruktion, die ebenso sehr vom Interpreten der Spur abhängt wie von ihrem Urheber (Krämer). Denn von einer Spur kann nur dann gesprochen werden, wenn die Spur tatsächlich als solche gelesen wird: Sie wird im Akt ihrer Entdeckung überhaupt erst hervorgebracht. Die Spur erscheint folglich als ein Ort, an dem Vergangenheit und Gegenwart sich kreuzen. Spuren bieten jedoch auch Anhaltspunkte für die Zukunft (Bloch); auch die Kunst des Wahrsagens fällt in den Bereich des Spurenlesens.VomAbdruckunterscheidet sich die Spur nicht nur durch ihre Nicht-Intentionalität, sondern ebenso durch die Eigenschaften der Heteronomie, Polysemie und „Interpretativität“ (Krämer).

Trotz der Tatsache, dass es nur gelesene Spuren gibt, fällt die Spur nicht ausschließlich in den Bereich der Repräsentation. Im Gegensatz zum Zeichenoder zum Indiz, bei denen es sich um begriffliche, welterklärende Konstruktionen handelt, gehört die Spur der Welt der Dinge an. Nur in und kraft ihrer Materialität ist die Spur eine Spur. Die Spur ist passiver Natur, insofern sie durch von außen kommende Tätigkeiten sowohl verursacht als auch gelesen wird. Somit stellt sich notwendigerweise die Frage nach dem jeweiligen Verhältnis zur Spur. Die Spur ist nur dann, wenn sie auslöschbar ist (Derrida). Die Frage nach dem Verhältnis einer bestimmten Gesellschaft zur Spur impliziert mithin die Frage nach ihrem Verhältnis zur Vergangenheit, darüber hinaus aber auch zum Körper (Analyse der „Körperspuren“) und zur Identität („Spur einer konstitutiven Heterogeneität des Subjekts“, Toumson).

Wir scheinen in vielerlei Hinsicht in einem Zeitalter der „Spur“ zu leben. Dies gilt sowohl für die Bedeutung, die unsere Gesellschaft dem Gedächtnis und den „Spuren“ der Vergangenheit (z.B. in Geschichte und Städtebau) zumisst, als auch für die unglaubliche Vervielfachung der „Spuren“ infolge der jüngsten Entwicklungen im technologischen Bereich (Internet, Entschlüsselung der DNA, biometrische Analyse usw.). In dieser Situation stellt die Möglichkeit der Spurenrückverfolgung und Spurensicherung die Gesellschaft vor ganz neue politische, ethische und sicherheitstechnische Herausforderungen im Umgang mit diesen Spuren.

Überdies stellt sich die Frage nach dem korrekten Gebrauch des Begriffs der Spur, wenn diese von ihrem Verursacher teilweise absichtlich oder zumindest bewusst hinterlassen wird. Schließlich ist Spurenlesen auch Wissenserzeugung. Vom archaischen Wissen des Jägers, der von Tieren hinterlassene Spuren deutet, über die (Anti-)Metaphysik der Spur (von Platon bis Derrida) bis hin zum Begriff des „Indizienparadigmas“ (Ginzburg) soll im Rahmen des Ateliers der epistemologische Status des Spurenbegriffs befragt werden.

Interdisziplinarität: Philosophie, Psychologie, Soziologie, Geschichte, Archäologie, Kunstgeschichte, Fotografie, Städtebau, Geografie, Literaturwissenschaft, Linguistik, Informatik, Natur-und Technikwissenschaften, Kriminalistik, Rechts-und Politikwissenschaft etc.