28. März, 3. April, 2. Mai 2024 im Heinrich-Heine-Haus (Paris), organisiert von Nils-Christian Terp.
„Deutsche Musik – Nena oder Bach“? Weder das eine noch das andere! Die Reihe Discuthèque Allemande beleuchtete die deutsche Alternativkultur in drei Veranstaltungen, von denen jede einem Genre gewidmet war, das die deutsche Alternativmusik geprägt hat. In Begleitung von drei Experten entdeckten wir deutschen Rap, Metal und Punk. Das Prinzip der Discuthèque: Gemeinsam Musik hören, über die Einflüsse und Besonderheiten der Popmusik made in Germany diskutieren und Verbindungen zu Politik, Identität und Gender herstellen.
Eine musikalische Reise durch 40 Jahre deutschsprachigen Rap
Am ersten Abend der Diskuthek führte uns Heidi Süß (Dr. phil., Universität Trier, Deutschland) durch die Kartografie des deutschen Rap von den Pionieren und Pionierinnen in Heidelberg (Advanced Chemistry; Stieber Twins; Cora E.) über den gutmütigen Party-Rap in Hamburg (Fettes Brot; Beginner) bis hin zum Gangster-Rap – dem heute dominierenden Genre -, der in Frankfurt entstand (Azad) und in Berlin popularisiert wurde (Aggro Berlin; Sido; Bushido). In ihrem Vortrag ging sie auf die problematischen Aspekte der Hip-Hop-Kultur ein, insbesondere auf den Sexismus und die verbale Gewalt, die im männlichen Rap sehr präsent sind. Dennoch entwickelt sich zunehmend eine weibliche Rap-Szene, die die immer noch weit verbreitete männliche Dominanz in diesem Genre herausfordert (Schwesta Ewa; Hayti; SXTN). Zum Abschluss spielte sie uns Proben des zeitgenössischen Rap vor, der sich zunehmend vielfältig zeigt (Pashanim; 01099; Wa22ermann) und sich von der geografischen Assoziation zugunsten einer Internetbekanntheit löst.
Weitere Informationen: https://www.heidisuess.de/
Konstruktion der deutschen „Kultur“ und „Identität“ im modernen Heavy Metal
Im April begeisterte Jasmin Hammon – Metal-Expertin und Musikjournalistin aus Augsburg – das Publikum in der Diskothek mit ihrer fröhlichen Perspektive auf den Metal, einen Stil mit düsterem und manchmal kontroversen Ruf. Sie zeigte uns die vielen Facetten des deutschen Metal abseits der ausgetretenen Pfade von Rammstein oder den Scorpions. Der Metal im Allgemeinen hat seine Ursprünge im Hardrock in den USA und Großbritannien in den 70er Jahren und fasste ab Mitte der 80er Jahre auch in Deutschland Fuß.
In Mitteleuropa haben die klassische Musik des Barock und der Romantik den Heavy Metal beeinflusst. Dies ermöglichte es deutschen Bands, ihre eigenen Subgenres zu formen, die oft von populärer und „mittelalterlicher“ Musik wie In Extremo oder Heilung beeinflusst wurden. Heute blüht die Musikindustrie des Landes mit mehreren erfolgreichen Labels und international bekannten Festivals wie Wacken, Wave-Gotik-Treffen oder Full Force. Jasmin Hammon zeigte auf, wie sehr das kulturelle Erbe und die Geschichte Deutschlands die Konstruktion einer deutschen Identität in der Metal-Musik beeinflussen. Zum Abschluss präsentierte sie ein Lied der Band Waldgeflüster, die über den Wald und die deutsche Folklore singt und dabei ein offenes Verständnis von deutscher Identität beibehält.
Weitere Informationen: http://skullnews.de/
Punk jenseits der Mauer – alternative Musikkultur in der DDR in den 80er Jahren.
Für den – vorerst – letzten Teil der Diskuthek hat uns der Leipziger Autor, DJ und Kunsthistoriker Alexander Pehlemann die faszinierende Geschichte des Punks in der DDR erzählt. Trotz aller politischen und materiellen Widerstände gab es in den 80er Jahren in der DDR eine sehr aktive Punk- und Underground-Musikszene, die sich die Codes dieser angloamerikanischen Jugendkultur auf sehr persönliche und experimentierfreudige Weise aneignete. Zumindest in den frühen 80er Jahren geschah alles auf eigene Faust: Man brachte selbst aufgenommene Kassetten in Umlauf, veranstaltete heimliche Konzerte in Privaträumen oder Kirchen und schmuggelte Punkplatten von der eigenen Großmutter über die deutsch-deutsche Grenze. Junge Punks mussten mit harten Strafen und jahrelanger Haft rechnen, da jede musikalische Aktivität in der DDR von einem offiziellen Komitee genehmigt werden musste.
Von der ersten Punk-Compilation DDR von unten bis zum Auftritt mehrerer ostdeutscher Punkbands in Paris 1990 betonte Alexander Pehlemann die enge Verbindung der Punks mit anderen Kunstformen: Ihre Texte wurden von befreundeten Dichtern (Bert Papenfuß; Stefan Döring) geschrieben, die Cover von Malern (A.R. Penk) gestaltet und die Konzerte nahmen manchmal die Form eines Happenings an (Tom Terror & das Beil). Heute ist das Interesse an der ostdeutschen Punkszene groß und zeigt sich in Wiederveröffentlichungen von Platten (Tapetopia), Buchprojekten (Magnetizdat im Verbrecher Verlag 2024) und sogar einer Dokumentation über Otze, den Sänger der ikonischen Band Schleimkeim (Schleimkeim – Otze und die DDR von unten 2024).
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